Aktuelles
Haushaltsrede 2023
FWL Rede des Fraktionsvorsitzenden Dr. David Post in der öffentlichen Sitzung der Gemeindevertretung vom 15.06.2023
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrter Herr Bürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,
eigentlich bringt es die Vorweihnachtszeit so mit sich. Allerorten schauen die Politikerinnen und Politiker erwartungsvoll auf das, was mit dem Haushalt kommen mag. Nicht so in Bad Salzschlirf. In der Presse wurde im März heiß diskutiert, dass Dipperz die letzten im Landkreis seien mit ihrem Haushalt. Und wie so oft befindet sich hinter dem Besenwagen noch jemand, nämlich Bad Salzschlirf. Das müsste nicht so sein.
Einbringung des Haushaltes
Obwohl wir Mitte des Jahres 2023 haben, hat die Gemeinde Bad Salzschlirf immer noch keinen genehmigten Haushalt. Dies bedingt, dass bisher nur Pflichtaufgaben legitim waren. Freiwillige Aufgaben, bei denen Bad Salzschlirf über das Ob und das Wie frei entscheiden kann sind z.B. Kultur, Sport oder Tourismusförderung. Hier konnte und durfte bisher nicht agiert werden. Aus unserer Sicht darf es so nicht weiter gehen, dass nur durch eine viel zu späte Haushaltseinbringung des Bürgermeisters die freiwilligen Aufgaben blockiert werden, denn so lange ist faktisch die kommunale Selbstverwaltung aufgehoben.
Die Kübelsche Praxis den Haushalt, nicht wie gesetzlich vorgesehen im Vorjahr einzubringen, gilt es zu überdenken. Aber nicht nur das, wie soll ein berufstätiger Ehrenamtlicher (z.B. im Vorstand) die 468 Seiten Haushaltsunterlagen durcharbeiten um innerhalb von Tagen darüber abzustimmen?
Nicht nur, dass diese verspäteten Unterlagen sich auch noch als fehlerhaft erwiesen, sondern auch, dass der Haushalt in einer Sondersitzung mit vier zusätzlichen Terminen zwischendurch gemacht wird, erschwert es den Ehrenamtlichen zusätzlich.
Wir wundern uns schon darüber, dass dieses Jahr weder die CDU noch die SPD irgendwelche Fragen zum Haushalt hatten. Dies ist zu tiefst beunruhigend.
Liebe Fraktionskolleginnen und Kollegen, stellen Sie doch einmal die Fragen, warum der Haushalt nie rechtzeitig eingebracht wird, der Jahresabschluss regelmäßig schlechter als die Planung ist und keine bleibenden Werte entstehen, wenn schon keine Rückstellungen gemacht werden?
Wie Sie anhand unserer Fragen und Anträge bemerkt haben, gibt es auch inhaltlich unzählige Dinge zum Diskutieren. Denn nur um festzustellen um pro forma die Hand zu heben, wird den Gremien nicht gerecht und führt bei denen, die den Haushalt optimieren wollen, zu Frustration.
Sie dürfen gerne inhaltlich anderer Meinung zu unseren Anträgen sein, aber eines können Sie nicht behaupten:
Die Gefährder der Haushaltsführung sind nicht unsere Fragen oder Anträge, sondern die zu späte Einbringung und eine mangelnde Einbindung.
Lieber Herr Bürgermeister, wir würden es begrüßen in Zukunft echte Haushaltsgespräche über Fraktionsgrenzen hinweg zu führen in die man frühzeitig im Herbst eingebunden wird. So könnte dann in der Vorweihnachtszeit ein sicherer Haushalt für die Gemeinde zur Prüfung eingereicht werden.
Wie war nun die Haushaltseinbringung des Bürgermeisters:
„Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bereitet tiefgehende Sorgen, es ist alles zusammengestrichen, Akzente können nicht gesetzt werden.“ Alle Jahre wieder die gleichen Worte, die bei den anderen Fraktionen noch nicht einmal mehr Fragen aufwerfen.
Doch diesmal ist es anders als im letzten Jahr. Die Ausgaben der wenigen flexiblen Haushaltsmitteln ist schlecht ausgewogen. Obwohl der Haushalt so groß ist wie noch nie, kann er den vielfältig veränderten Voraussetzungen nicht wirklich gerecht werden.
Aber der Reihe nach.
Wir haben es uns nicht leicht gemacht und haben versucht ausreichend in die Materie einzusteigen.
Anträge und Anfragen
Unsere Anfragen und Anträge zum Haushalt wurden im Vorfeld einzeln eingebracht. Diese sind alle begründet und sollen hier nicht erneut erwähnt werden. Die darüber hinausgehenden Prüfanträge für die Sicherheit und Ordnung und zur Verbesserung der Einnahmenseite sind für die nächste Sitzung ebenfalls vorgelegt.
Blicken wir kurz zurück:
Die Coronakrise hat uns weltweit lange beschäftigt und viel Kraft gekostet. Nicht alles war perfekt, aber im Wesentlichen lief ziemlich vieles gut. Mit Russlands Angriffskrieg traf uns die nächste Welle der massiven Veränderungen. Auch hier ist bei der Bewältigung nicht alles glatt gelaufen, aber auch hier gilt es festzuhalten, wie viel Solidarität es gab und hoffentlich auch noch geben wird.
Diese Großkrisen haben vor allem gezeigt, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt in einer Krise möglich ist, wenn die große Mehrheit sie als solche anerkennt und dies in die tägliche Arbeit übersetzt wird.
Die benannten Krisen haben Bezüge zur Großkrise unsere Zeit, die Rede ist natürlich von der Klimakrise. Jahr für Jahr wird sie spürbarer zur Katastrophe. Letztes Jahr hat auch Bad Salzschlirf einen Hessenrekord mit 4 Monate lang ohne Regen aufgestellt. Diese Klimakrise ist eine Gefahr für das, was den meisten hier im Raum lieb und teuer ist. Obwohl keine Erkenntnislücke besteht, müssen wir immer wieder eine Umsetzungslücke feststellen. Es wird oft ignoriert, ausgeblendet und vor allem Scheindebatten sind feststellbar. Sicherlich, ein Klimaaufbruch lässt sich in dem Haushalt erahnen, aber mit angezogener Handbremse. Wir beschäftigen uns bereits jetzt mehr mit den Folgeproblemen, als diese selbst zu verringern.
Ortskrise
Kommen wir nun zu unserer eigenen, speziellen Ortskrise.
Bereits unter „Normalbedingungen“ verweisen unsere Ämter auf Überbelastung. Hier wäre eine ganz andere Politik notwendig. Das hier dringender Handlungsbedarf besteht, wird seit Jahren erkannt, aber nicht in die tägliche Arbeit umgesetzt. Es fehlt der Mut neue Wege zu gehen.
In allen bisherigen Gesprächen legen Sie Herr Bürgermeister und Sie liebe SPD und CDU nahe, dass selbst das Reden über eine mögliche Fusion eine Gefahr für Bad Salzschlirf sei.
Jedoch, eine Gefahr für Bad Salzschlirf ist das praktizierte „weiter so“.
Wir befinden uns längst in einer Transformation, Sie können auch sagen Zeitenwende:
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Die ökologische Übernutzung
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Eine Zunahme der sozialen Ungleichheit
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Ein Populismus, der politische Entscheidungen erschwert
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Eine digitale Revolution mit neuer Form von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen und der Kontrolle über die Infrastruktur
Sie schwelgen oft in einer Form Nostalgie mit der Gewohnheit von Früher. Ich kann Ihnen sagen:
„Zurück zur alten Normalität“ wird mit Sicherheit nicht die Zukunft sein.
Was empfindet die Bürgerschaft die letzten Jahre? Was unsere Beschäftigten? Wie ist denn z.B. der Sozialstandard bei unseren Beschäftigten, speziell in der Kurgärtnerei? Warum hängt die Weihnachtsbeleuchtung teilweise noch? Versprochen wurde die „Landesgartenschau als Perspektive“ für Bad Salzschlirf. Merkt man das?
Das vorzufinden, was versprochen wurde, gilt nicht nur für die Touristen, sondern vor allem für die Bürgerschaft und die Beschäftigten.
Der Haushaltsplan setzt viel zu wenig zukunftsorientierte und sozialpolitische Akzente für die Bürgerinnen und Bürger des Ortes. Dann haben wir einmal ein Projekt was gleichzeitig für die Bürgerschaft, gegen soziale Ungleichheit ist und dem Tourismus nutzt. Und nun ist es aus dem Haushalt verschwunden, das Freibad.
Einnahmenseite
Die Einnahmenseite erreicht Höchstwerte und ist dennoch nicht ausreichend. Grundsätzlich die einzige nennenswerte Möglichkeit neben einer Steueranhebung sind die Gewerbeeinnahmen.
Sie wollen seit Jahren die Gewerbeeinnahmen verbessern. Gelder wurden auch schon ausgegeben. Bis der erste neue Spatenstich im Gewerbegebiet gemacht werden kann, ist die erste Millionen längst ausgegeben. Aber wo sind die Interessenten, die laut Bürgermeister angeblich Schlange stehen. Auch wenn sie vielleicht da sind, bis sich die ersten Gewerbesteuereinnahmen zeigen, sind wir vermutlich bereits im Jahr 2030.
Was vielen auch nicht bewusst ist, unter den TOP 10 der Gewerbesteuerzahler gibt es nur einen aus dem Kur- und Tourismusbereich.
Wahrscheinlich wird die erste neue spürbare Einnahmequelle durch ein Windrad oder dem Solarpark und nicht durch das Gewerbegebiet sein.
Was ich damit andeuten will? Langfristig ein sinnvolles Projekt, aber lassen Sie sich nicht täuschen. Wir werden auch ohne Worst-case-Szenario erst in vielen Jahren merkliche Mehreinnahmen verzeichnen können. Das ausgegebene Geld amortisiert sich also erst im nächsten Jahrzehnt.
(das bringt uns zum nächsten Thema)
Investitionsstau
Bis dahin kann der Investitionsstau nicht abgebaut werden. Was kann noch Jahre warten? Die 5 Mio€ für den Bauhof/ die Kurgärtnerei, die 1,5 Mio€ zur Entfernung der Bauruinen im Ortskern, weiteren 1,5 Mio€ für das restliche Gewerbegebiet, 1 Mio€ für die Straßenbeleuchtung, u.u.u.?
Ganz zu schweigen davon, dass über andere Gebühren noch Millionenbeträge für Wasser/Abwasser und den Straßenbau von der Bürgerschaft aufgebracht werden müssen.
Ausgabenseite
Meine Damen und Herren, schauen wir uns einmal an, wofür das Geld ausgegeben werden soll.
Wir haben vier große Haushaltsposten auf die wir einen Einfluss haben, alle im Millionenbereich: Das sind die Verwaltung, die Kitas, der Tourismus und die Schuldentilgung mit Zinsen. Alle anderen Bereiche führen nur noch ein Schattendasein. Wo bleibt da noch Spielraum? Einzig beim Tourismus leben wir die freiwillige Selbstverwaltung. Um dies so zu erhalten wurde alles andere gestrichen.
Die Bäder
Durch große Fördersummen hat sich für uns alle die einmalige Chance für ein Freibaderhalt ergeben, aber Sie nehmen es gegen den von allen getragenen Haushaltsbeschluss vom letzten Jahr heraus. Allein aus den Interessen von Urlaubern und Einheimischen und dem sozialen Stellenwert ist ein Freibad ein ausgesprochen lohnenswertes Förderprojekt für unser Dorf.
Sie träumen parallel von 30 Mio€ für eine Therme und noch weitere 5 Mio€ für ein Parkhaus? Trotz höchster Zuschüsse entsteht seit Jahren kein tragfähiges Finanzkonzept! Bei der Therme befinden wir uns mittlerweile in einem eskalierten Commitment. So bezeichnet man ein Verhalten, wenn man dazu neigt, chancenlose Projekte weiter zu verfolgen. (Ab-)Zocker sind anfälliger dafür, zum Scheitern verurteilte Projekte auf Biegen und Brechen durchzusetzen. Helfende Menschen sind darauf bedacht, andere zu schützen und unerreichbare Ziele einzugestehen.
Es ist nichts Verwerfliches daran die Thermenplanung einzustellen, da alles versucht wurde.
Es gibt ein CDU-Zitat, was unsere Leitschnur dazu nicht besser ausdrücken kann:
„Der Tourismus soll nicht auf dem Rücken der Einheimischen gestärkt werden.“
(Landrat Bernd Woide)
Wir wollen Projekte verfolgen, die realistisch sein könnten und damit Mut machen. Ein Freibad und ein Campingplatz wären für unser Dorf der realistische Maßstab um aus einem Traum vielleicht Wirklichkeit werden zu lassen.
Was bei der ganzen Bäder-Sache noch bedenklich ist - Sie haben kein tragfähiges Konzept mit Bädern, aber auch keins ohne. Was hier fehlt ist dann ein Plan B!
Der Verkehr
Hier gibt es seit Jahren kein Verkehrskonzept für den Ort, nur Stückwerk. Schüler, Fahrradfahrer, Rentner können ein Lied davon singen, aber selbst der Autofahrer muss sich beim Straßenkonzept im Neubaugebiet wundern. Wir müssen uns auch einmal fragen, ob wir für einen zukunftsfähigen ÖPNV richtig aufgestellt sind.
Die Touristik und Service GmbH
Hier werden neue Impulse gesetzt. Für ein kleines Dorf leisten wir uns hier mit Abstand den größten freiwilligen Ausgabenteil mit guter finanzieller und personeller Ausstattung. Aber auch hier müssen wir uns fragen, warum befinden sich immer noch eine Menge Haushaltsposten und Personalstellen aus dem Kur- und Tourismusbereich im Haushalt der Gemeinde, obwohl es Gegenstand der Gesellschaft ist.
Diese wird dafür entsprechend finanziell ausgestattet. Die TuS muss im Gegenzug die Verwaltung deutlich entlasten.
Die Verbindlichkeiten oder im Volksmund Schulden genannt
Wenn man es richtig angeht, dann schafft ein Investitionskredit Vermögenswerte, erspart Ausgaben oder generiert sogar Einnahmen. Eigentlich ein gutes Hilfsmittel, wenn man es richtig anwendet. Haben Sie sich einmal überlegt, warum sich die Kredite (trotz hoher Förderungen) seit gut 10 Jahren annähernd vervierfacht haben? Bei den bleibenden Vermögenswerten mit wirklicher Innovation und Entwicklung hat diese Vervierfachung nicht stattgefunden.
Um unsere Schulden von rund 12 Mio€ jetzt nicht noch größer werden zu lassen, müssen wir durch die Kreditaufnahmen bei der jetzigen Haushaltsführung auch jährlich 700T€ - 1 Mio€ an Tilgung aufbringen. Zum Vergleich, unsere Grundsteuereinnahmen betragen 950T€. Selbst wenn in gleicher Summe ein Vermögenswert entsteht, müssen Sie sich fragen, wie bei dem heutigen Zinssatz die über 400T€ Zinsen aufgebracht werden.
Aus unserer Sicht fehlt hier im Haushalt auch noch eine wesentliche sechsstellige Verbindlichkeits-Summe. Die Bürgschaft Tandem Kurzzeitpflege ist nicht aufzufinden. Die darf man im Haushalt nicht vergessen. (sonst wäre der Haushalt nicht korrekt!)
Thema Wasser/Abwasser
Hier fehlen Millionenbeträge für ein solides Netz. Dieses Jahr wird es als vorteilhaft für die Bürgerschaft angepriesen, dass die Gebühren fallen. Wenn man genauer hinschaut entpuppt sich dies als schlechte Investitionsplanung, wenn bei einem hohen Investitionsstau die Gebühren plötzlich fallen.
Die Verpflichtungsermächtigungen
Wenn jetzt schon 1,3 Mio€ Verpflichtungsermächtigung für das nächstes Jahr festgeschrieben werden, sind wir auf die Haushaltszahlen im Herbst gespannt, wie man im Haushaltsjahr 2024 noch weiter agieren kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir vertreten die Ansicht, dass…
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immer zwischen den Interessen von Urlaubern, Einheimischen und der Natur abgewogen werden muss
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die Frage nicht lautet was mal war, sondern wie wir in Zukunft leben
So lange Sie diese Ansichten nicht mit uns teilen und versuchen umzusetzen, müssen Sie auf unsere Zustimmung zum Haushalt verzichten.
Ich möchte mich zum Schluss im Namen meiner Fraktion an dieser Stelle auch ganz herzlich bei allen Beschäftigten unserer Kommune für die geleistete Arbeit bedanken.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute und danke an dieser Stelle für das Zuhören.